Ende November 2015 entschied der Bundesgerichtshof, dass unter Umständen die Versicherungsgesellschaft auch dann zu einer Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung verpflichtet ist, wenn der Versicherte bei Vertragsabschluss falsche Daten im Rahmen der Gesundheitsprüfung angegeben hat. Das BGH-Urteil sorgt für Aufruhr bei den Gesellschaften, denn es stellt eine 10 Jahres Frist ab Vertragsabschluss für die Möglichkeit der Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung in Aussicht.
Zu welchem Fall wurde das Urteil Ende vergangenen Jahres gesprochen? Es handelt sich um einen Morbus Parkinson Erkrankten, der im Frühjahr 2002 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen hatte (Versicherungsschein April 2002) zu einer bestehenden Lebensversicherung. 2008 trat durch einen Gehirntumor und das Fortschreiten der Parkinson Erkrankung Berufsunfähigkeit ein, jedoch wurden erst im Januar 2012 Leistungen aus der Police abgerufen und dabei eben auch die Morbus Parkinson Vorerkrankung (seit 1990) mitgeteilt. Die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung durch den Versicherer erfolgte wenige Monate nach dem Leistungsantrag (Juli 2012) und mehr als 10 Jahre nach dem Abschluss des Versicherungsvertrages der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
Die Begründung einer 10 jahres Frist für die Versicherer
Die Witwe und Erbin des zwischenzeitlich verstorbenen Versicherten klagte auf die Rückzahlung der Beiträge für den Zeitraum von 2008 bis 2013, denn laut Vertrag sollte bei Berufsunfähigkeit die Hauptpolice (Lebensversicherung) beitragsfrei gestellt werden. In den Vorinstanzen erfolglos, entschied der Bundesgerichtshof (IV ZR 277/14 ) Ende November 2015, dass die 10 Jahres Frist zwischen Vertragsabschluss und Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht eingehalten wurde. In diesem Zusammenhang sind die Beitragsrückerstattungen zu leisten.
Berufsunfähigkeit und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung sind anerkannt, damit hat der Versicherte im vorliegenden Fall theoretisch auch einen Anspruch auf Leistung aus der BUZ-Police. Die Berufsunfähigkeit trat zwar vor Ablauf der 10 Jahres Frist ein, sogar auch der Leistungsantrag des Versicherten. Die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung liegt aber nach der 10 Jahres Frist (Fristversäumnis durch den Versicherer). Der Bundesgerichtshof hat hiermit eine Richtlinie vorgegeben. |
Bei der Versicherungswirtschaft sorgt dieses BGH-Urteil für zweifelnde Blicke. Bisher wurden Antragsteller stets darauf verwiesen, dass aus falschen, fehlerhaften und nicht vollständigen Angaben bei den Gesundheitsfragen je nach Versicherungsvertrag Leistungsausschlüsse, Leistungsstaffelungen und sogar der vollständige Verlust des Versicherungsschutzes und damit das Entfallen der Leistungspflicht des Versicherers resultieren können (vorvertragliche Anzeigepflicht). Vertragskündigungen, Anpassungen, Rücktritte und Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch den Versicherer galten als mögliche Folgen. Teilweise wurde der Vertragsabschluss auf Grund des Gesundheitszustandes des Antragstellers gleich verwehrt.
Leistungen aus der BU Versicherung auch bei arglistiger Täuschung nach 10 Jahren
Mit dem neuen BGH-Urteil könnte ein Versicherter bei Vertragsabschluss schwerwiegende Vorerkrankungen schlicht verschweigen und dennoch später Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beziehen, sofern er frühestens 10 Jahre nach Vertragsabschluss Leistung bei der Versicherungsgesellschaft wegen Berufsunfähigkeit beantragt und dem Versicherer damit keine Möglichkeit zur (rechtzeitigen) Anfechtung wegen arglistiger Täuschung binnen 10 Jahres Frist einräumt. Immerhin hätte im vorliegenden Fall die Versicherungsgesellschaft rechtzeitig anfechten können, schließlich war die 10 Jahres Frist beim Leistungsantrag des Versicherten noch nicht abgelaufen, aber eben bei Anfechtung durch den Versicherer. Der Einzelfall ist zu prüfen, inwieweit Fristen eingehalten wurden bzw. (verschuldete?) Fristversäumnisse vorliegen.
Das BGH-Urteil mit einer 10 Jahres Frist bei Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erweckt zumindest einen Hoffnungsschimmer für erkrankte Antragssteller, letztendlich – wenn auch 10 Jahre nach Vertragsabschluss und nicht unbedingt bei tatsächlichem, früheren Eintritt der Berufsunfähigkeit – Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung beziehen zu können. Wie wird nun die Versicherungswirtschaft reagieren? Mit strengeren Prüfungen ist vermutlich zu rechnen, vor allem bei Leistungsanträgen innerhalb der ersten 10 Jahre nach Vertragsabschluss. Leistungsanträge nach Ablauf der 10 Jahres Frist, bei denen der Versicherte Vorerkrankungen verschwiegen hat, könnten erfüllt werden müssen. Die Versichertengemeinschaft muss diese dann mitfinanzieren, was zu Beitragsanhebungen führen kann. Für Versicherte ist das BGH-Urteil zweifellos interessant, die Prüfung des Einzelfalls ein Muss. Bei ähnlich gelagerten Versicherungsfällen wäre in der Endkonsequenz der Gang zum Gericht womöglich interessanter zu bewerten, als bisher.
Während die Versicherungswirtschaft teilweise in Frage stellt, inwiefern das BGH-Urteil nicht nur auf Berufsunfähigkeits(zusatz)versicherungen, sondern auch auf andere, ähnlich gelagerte Verträge wie private Krankenversicherungen Einfluss nimmt, drängen einige Branchenvertreter auf neue, alte Versicherungskonzepte. Womöglich macht das vorgeschlagene Versicherungsmodell, was gänzlich ohne Beantwortung von Gesundheitsfragen auskommen soll, dann aber definitiv auch erst nach 10 Jahren zur Leistung herangezogen werden kann (generelle Karenzzeit bzw. Wartezeit von 10 Jahren), Schule. Die Antragsstellung und vor allen Dingen die Prüfung der Versicherungsanträge könnten problemloser erfolgen, Gerichte könnten entlastet werden und für vorerkrankte Interessenten gäbe es einen „rechtlich“ einwandfreien bzw. bedenkenlosen Weg.